Autokino
2007, Skulpturenpark, Herbert Gerisch Stiftung, Neumünster
Video

Autokino | Live-Videoinstallation

Skulpturenpark Herbert Gehrisch-Stiftung, Neumünster, 2007

Die permanente Aufnahme von Bildern einer in die Bundesstraße eingelassenen Videokamera wird zeitgleich unterhalb der Fahrbahn auf die tragende Wand der Brücke projiziert. So ergibt sich eine 3-fache Sicht: die Realität, ihre Projektion und das gespiegelte Bild im Wasser.

 

Bühnen des Öffentlichen

Stefan Sous ist ein Künstler, der in seinen ortsbezogenenen Skulpturen und Installationen mit präziser Pointe, vorgefundene Situationen analysiert und künstlerisch transformiert. Ob er in Düsseldorf die zentrale Jägerhofallee des bekannten Hofgarten Parks mit grell leuchtenden Parkbänken eskortiert, ob er im Kant-Park des Wilhelm Lehmbruck-Museums eine amphitheater-ähnliche Lichtbühne errichtet oder jüngst einen mit fast zehn Meter Länge monumentalen Chip auf dem zentralen Platz von Amiens in Dortmund platziert; so unterschiedlich das Erscheinungsbild der einzelnen skulpturalen Arbeiten, jedes Mal erfassen und radikalisieren sie die jeweils vorgefundene städtebauliche Situation und überführen diese in einen bühnenhaften und zugleich alltagstauglichen Treffpunkt öffentlichen Lebens. Sie bewegen sich auf einem fein austarierten Grat zwischen funktionalem Möblement städtischen Raums und skulpturaler Eigenmächtigkeit: die verletzliche Transparenz der aggressiv strahlenden Düsseldorfer Sitzbänke, die trichterartig abgetreppte Lichtspielbühne in Duisburg oder die unwirklich monumentale wie aus einer virtuellen Computerspielwelt entführte Repräsentationsplastik inmitten Dortmunder Häuserschluchten. Stilistisch und technisch von größt anzunehmender Varianz folgen sie derselben stringenten künstlerischen Konzeption.

So auch sein Vorschlag für den Gerisch-Skulpturenpark in Neumünster. In der Fahrbahndecke der Straßenbrücke sind zwei Kameras in einem bruchsicheren, sich kaum vom Straßenbelag abhebenden Gehäuse montiert. Verbunden mit zwei Projektoren übertragen diese Miniaturkameras simultan die Verkehrssituation auf die tragende Wand der Unterführung darunter. Die Videoprojektion wird dabei in der Richtung gezeigt, in die oberhalb auch die Kameras ausgerichtet sind. Es entsteht eine Eins zu Eins-Situation zwischen dem – aus dieser Perspektive – oberhalb lebensgefährlichen Verkehrsgeschehen und dessen videotechnischer Dopplung unterhalb der Brücke.

"Wenn man unten im Autokino steht, soll man das Gefühl haben, oben den Kopf durch die Fahrbahndecke zu stecken", beschreibt Stefan Sous selbst seine Arbeit. „Man muss sich beeilen, wenn man noch was sehen will. Alles verschwindet.“, bringt der Künstler das globalisierte Unglücksgefühl auf den Punkt, virtuell überall sein zu können, physisch aber an seinen Körper und einen Ort gebunden zu sein. Die videotechnische Bildübertragung des Geschehens gerät nämlich in einen spannungsvollen Kontrast zur unmittelbaren, also technisch nicht erzeugten oder manipulierten Klangerzeugung. Die Geräuschkulisse der über die Brücke hinwegrauschenden Fahrzeuge ist Resultat der direkten Schallübertragung durch die Fahrbahndecke und deren Verstärkung durch den Resonanzkörper des Hohlraumes der Unterführung. Simulation und Unmittelbarkeit desselben Ereignisses werden in eine sich überschneidende und dadurch verwirrende Engführung jenseits gewohnter medialer Realitätserzeugung gebracht.

Zugleich hat sich Stefan Sous mit dem visuellen Herabholen des Verkehrsflusses an einen Ort, der doch eigentlich Resultat eines bewussten Ausklammerns der stadtbestimmenden Verkehrsflüsse ist, vehement gegen jegliche Idyllisierung der Verkehrsführung entschieden. So sehr der Verkehr durch die Brücke dem Blickfeld entzogen werden soll, so sehr akzentuiert er mit dem Autokino die Präsenz dieser für die Stadt so entscheidenden Lebensader. Statt Beschönigung oder eines Gegenentwurfes: klare Standortbeschreibung und Radikalisierung der vorgefundenen Situation.

Dass er dieser Arbeit zudem den Titel Autokino verleiht, ist mehr als ein Wortspiel, es ist ein süffisanter Seitenhieb auf das romantisierende Bild amerikanisch geprägter Autozweisamkeit, die doch eigentlich erst Straßenführungen, wie sie Städte prägen, hervorgebracht haben. Zudem verweist er auf eines der charakteristischen Momente seiner ortsbezogenen künstlerischen Arbeit. Das Autokino ist ebenso wenig ohne seine Besucher und Nutzer zu denken, wie das Amphitheater, die Bankreihe oder selbst die sich als Podium anbietende Plattform inmitten des Dortmunder Amiens-Platzes. Die Außenskulpturen von Stefan Sous sind nicht nur immer auf eine spezifische urbane Situation zugeschnitten, sie erzeugen eine soziale Situation, in der der Betrachter zugleich zum bestimmenden Akteur einer skulptural gefassten Bühne wird. So werden die Passanten der Unterführung zu Besuchern eines Kinos, dessen Vorführraum nicht nur Ort des filmisch übertragenen, sondern auch dort stattfindenden realen Geschehens wird. Selbst der sich autonom gebärdende Dortmunder Chip ist weit mehr als abgestellte Drop-Skulptur, nämlich zugleich vorsichtig kalkulierte soziale Plastik. Kaum eine Viertelstunde vergeht dort, ohne dass sich Passanten angezogen fühlen, darauf zu posieren, Skater verschämt einen Absprung von seinem wellenartigen Plateau wagen oder Kinder ängstlich an dessen zerklüfteten Rand entlangbalancieren. Ebenso ist der emporenartige Weg durch das in Neumünster seit 2007 in Betrieb genommene Autokino längst zum Treffpunkt für junge Liebepärchen oder pubertierende Bierkistenrunden geworden. Am Ende der künstlerischen Arbeit von Stefan Sous stehen deren Benutzung und die aus ihr erwachsenden Erzählungen. Nicht die Auflösung künstlerischer Arbeit in das Anprangern von Missständen so genannter öffentlicher Räume oder in vordergründig sozialpädagogisch anmutende Partizipationsangebote prägt seine Handschrift: Sous definiert den Raum, in den er seine Kunst implantiert, als soziale Bühne, ohne seine räumlich skulpturale Gestaltungsabsicht zu leugnen. Überraschend dabei ist die Selbstverständlichkeit der von ihm vorgenommenen Interpretationen. Es scheint, als ob Sous Eingriffe den Orten mit ihren verborgenen Potentialen zum Ausdruck verhelfen. So besteht seine Arbeit aus einer Synthese vorgefundener Situationen, präzise darauf abgestimmter und dennoch selbstbewusster skulpturaler Setzungen und mit deren Hilfe ausgelöster sich überlagernder sozialer Geschehnisse.

Martin Henatsch

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